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Zum Tod von Erhard Eppler

Gesine Schwan: Tiefer Dank für einen großen Sozialdemokraten

Erhard Eppler lebt nicht mehr. Er ist am Samstag dem 19. Oktober 2019 im Alter von 92 Jahren verstorben. Es ist schwer, diese Nachricht anzunehmen. Zwar war er schon lange aus allen Parteiämtern ausgeschieden, aber zugleich wuchs seine Autorität in der gesamten Partei. Gerade Vertreter des Schmidt-Flügels wie Gerhard Schröder baten ihn in politisch und vor allem ethisch schwierigen Fragen um Rat und öffentliche Unterstützung. Er hat beides gegeben, was manche Beobachter gewundert hat. Aber das war nicht erstaunlich, Erhard Eppler war vor allem Sozialdemokrat, nicht Vertreter eines Flügels, auch wenn er wie Johannes Rau und Gustav Heinemann aus der von Heinemann gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei erst 1956 in die SPD übergetreten war.

Wie Gustav Heinemann betrieb Erhard Eppler Politik aus seinem protestantischen Gewissen. Aber er war nie der abgehobene Gesinnungsethiker, auf den Helmut Schmidt ihn immer wieder festlegen wollte. Er argumentierte vielmehr, wie ich finde zu Recht, dass Max Webers scharfe Trennung zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik sich gedanklich nicht wirklich durchhalten lässt. Denn Verantwortung ohne Gesinnung gibt es nicht und umgekehrt können wir nie alle Folgen einer politischen Entscheidung überschauen, so dass letztlich auch die Gesinnung helfen und eine ausschlaggebende Orientierung bieten muss, in aller Unsicherheit doch einen Weg zu finden. Gesinnung mit Borniertheit oder Sturheit gleichzusetzen, die die Folgen des eigenen Handelns bewusst ausblendet, greift jedenfalls zu kurz, im Persönlichen wie im Politischen.

Eine Verständigung zwischen den beiden herausragenden Sozialdemokraten Eppler und Schmidt ist wohl an der tiefen Unterschiedlichkeit ihrer Naturells und ihrer Verständnisse von Politik gescheitert. Ein längeres Gespräch in den achtziger Jahren in der Grundwertekommission zeigte, dass jedenfalls Helmut Schmidt keinen persönlichen Zugang zu Erhard Eppler fand. Willy Brandt stand dazwischen, konnte aber im Ernst nicht vermitteln.

Man hat Erhard Eppler, der die Grundwertekommission der SPD von 1973 bis 1992 geleitet und entscheidend geprägt hat, oft einen protestantischen Rigorismus vorgeworfen und eine gewisse Freudlosigkeit. Dabei war er unter Freunden gern und oft fröhlich, auch wenn er Vorbehalte hatte gegenüber dem, was er als eine katholisch oberflächliche Fröhlichkeit empfand. Diese Vorbehalte habe ich als Mitglied der Grundwertekommission in den siebziger und achtziger Jahren selbst erlebt. Sie ging den Problemen in seiner Sicht nicht tief genug nach. Später hat er seine Einschätzung revidiert, man kann „fröhlich in Hoffnung“ sein und trotzdem den schrecklichen Seiten der Welt ins Gesicht sehen, vielleicht sogar umso besser.

Erhard Eppler hat die Grundwertekommission mit großem Ernst nicht nur geleitet, sondern regelrecht angetrieben, langfristige, aber absehbare Herausforderungen, auch mögliche Irrwege der Sozialdemokratie klar zu benennen und gründlich zu diskutieren. Das betraf vor allem die Umwelt- und die Friedensfrage. Er hat sich früh gegen die Fiktion von sog. sachlichen bzw. technokratischen Lösungen anstelle von politischen gewandt. Überhaupt war für ihn das Politische zentral. Immer wieder hat er gefordert, es nicht in anderen Seins- und Lebensweisen untergehen zu lassen. Der Streit mit Argumenten war sein Leben und für ihn der Weg, eine menschlichere Welt zu schaffen. Seine Sprache war bewundernswert scharf ziseliert, farbig und lebensnah, überhaupt nicht abgehoben intellektuell. Bis an sein Lebensende.

Zum letzten Mal ist er auf einem Parteitag der SPD im Dezember 2015 aufgetreten. Man hat ihm da allerdings nur mit Mühe den Raum gegeben, der ihm gebührt hätte. Sein Thema war Europa. Er hat in seiner kurzen Rede den Finger in die Wunde gelegt: Wie soll aus einem Europa, dass überall und zwischen allen immer nur die Wettbewerbsfähigkeit preist, Solidarität erwachsen? Er habe sich das immer gefragt – der aktuelle Mangel an innereuropäischer Solidarität kam für ihn nicht überraschend.

Erhard Eppler belegt das Spannungsverhältnis von Wahrheit und Mehrheit in der Demokratie. Sie kann auf Mehrheitsentscheidungen pragmatisch nicht verzichten. Aber die Wahrheit liegt nicht immer bei der Mehrheit. Deshalb darf man nicht müde werden, für sie zu streiten. Erhard ist nicht müde geworden. Nun müssen andere es in seinem Sinne tun.

Wir schulden dem großen Sozialdemokraten Erhard Eppler einen tiefen Dank dafür, dass er so unermüdlich für Menschlichkeit gestritten hat. Und wir sind sehr traurig mit seinen Angehörigen und Freunden.

Gesine Schwan im Gespräch mit Erhard Eppler

Das Video entstand im Rahmen der Reihe "Über Politik" der früheren HUMBOLDT-VIADRINA Governance School.